Zukunftswerk - Nachhaltigkeit genau genommen
Irgendetwas müssen wir tun, gegen den Klimawandel. Da sind sich selbst Luisa Neubauer und Christian Lindner einig. Doch wenn es um das wie geht, dann scheiden sich die Geister. Genau dieses "wie" erkunden wir im Zukunftswerk Podcast. Ausführlich und detailreich, so besprechen wir die komplexen Fragen rund um Nachhaltigkeit und Klimawandel in Politik und Wirtschaft. Dabei schauen wir uns an, wie diese großen Themen konkret uns, unseren Alltag und unsere Arbeit beeinflussen werden. Wir, das ist die Zukunftswerk e.G., die wahrscheinlich südlichste Nachhaltigkeitsberatung Deutschlands, ein kleines Team mit langjähriger Erfahrung in der Nachhaltigkeitsberatung, der CO2-Bilanzierung, dem Emissionszertifikatehandel und mit einem großen Interesse an einer zukunftsfähigen Gesellschaftsgestaltung. Mehr zum Zukunftswerk und den Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit gibt es hier: www.zukunftswerk.org/blog
Zukunftswerk - Nachhaltigkeit genau genommen
Science Based Targets
Woher soll ein Unternehmen wissen, bis wann und um wie viel Prozent es die eigenen Emissionen reduzieren muss, seinen Beitrag zu Einhaltung Pariser Klimaabkommens zu leisten?
Wir tauchen heute tief in die Welt der wissenschaftsbasierten Klimazielen ein, erklären, warum sie zum A und O der unternehmerischen Klimastrategie werden und wie sie im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD, ein wichtiges Werkzeug darstellen. Wir schauen uns an, wer sich SBTs setzen sollte, wie sie gesetzt werden und vor allem, was wir von ihnen halten können.
Outro Musik: "Morning Routine" von Ghostrifter Official und Pixabay.com (Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported).
Kontakt: steven.reich@zukunftswerk.org | Impressum | Website
In der letzten Folge vor der Winterpause mussten wir feststellen: Das 1,5 Grad Ziel ist im kaum noch zu erreichen. Um also das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, braucht es ernsthafte Anstrengungen und radikale Reduktionen der Emissionen, auch in der Privatwirtschaft.
Doch wie soll man wissen, wohin man geht, wenn man nicht weiß, wo man steht? Im konkreten: Woher soll ein Unternehmen wissen, bis wann und um wie viel Prozent es die eigenen Emissionen reduzieren muss, um Paris-konform zu sein? Genau hier schlägt die Stunde der wissenschaftsbasierten Klimaziele.
Wir tauchen heute tief in die Welt der wissenschaftsbasierten Klimazielen ein., erklären, warum sie zum A und O der unternehmerischen Klimastrategie werden und wie sie im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD, ein wichtiges Werkzeug darstellen. Wir schauen uns an, wer sie setzen sollte, wie sie gesetzt werden und vor allem, was wir von ihnen halten können.
In der Privatwirtschaft sind Klimaziele oft wie die guten Vorsätze zum neuen Jahr: wohlmeinend gesetzt, aber nicht immer durchdacht oder gar umsetzbar. Viele Unternehmen haben sich bisher mit Zielen begnügt, deren Ambitionen weder auf konkreten Zahlen noch auf einer soliden Methodik beruhten.
Andere waren einen Schritt weitere und setzten sich immerhin Ziele, die auf dem Greenhouse Gas Protocol basieren und somit den eigen Unternehmensfußabdruck berücksichtigen. Bei der Entscheidung, wie sehr die Emissionen zu reduzieren sind schienen die Kosten für Reduktionsmaßnahmen meist stärker ins Gewicht zufallen als die Frage, wie viel Reduktion notwendig ist.
Hier liegt der Unterschied zu wissenschaftsbasierten Zielen, oder auch Science Based Targets (kurz SBTs). SBTs basieren nicht auf willkürlichen Werten oder dem, was gerade finanziell machbar erscheint, sondern auf den fundierten wissenschaftlichen Modellen des Weltklimarats, dem IPCC. Diese Modelle stellen klipp und klar dar, was nötig ist, um die Erderwärmung in Grenzen zu halten.
Die Grundlage der SBTs bilden drei wesentliche Faktoren:
Zunächst wird das globale Budget für Treibhausgasemissionen ermittelt. Dieses Budget definiert, wie viel noch ausgestoßen werden darf, ohne dass die Wahrscheinlichkeit, das 1,5-Grad-Ziel zu überschreiten, über 50% steigt.
Auf dessen Basis werden im zweiten Schritt komplexe Emissionsszenarien für die Zukunft modelliert. Diese systemtheoretischen Szenarien berücksichtigen Hunderte von klimatischen und anthropogenen Einflussfaktoren und zeichnen so ein Bild davon, wie sich die Gesamtemissionen entwickeln könnten.
Im letzten Schritt wird dieses globale Szenario heruntergebrochen auf die individuelle Ebene jedes Unternehmens. Dafür gibt es wiederum 2 verschiedene Ansätze:
Der cross-sektorale Kontraktionsansatz ist darauf ausgelegt, eine absolute Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erreichen. Dieser Ansatz verlangt von Unternehmen, unabhängig der individuellen Ausgangslage, ihre gesamten Emissionen in einem festgelegten Zeitraum, um einen spezifischen Prozentsatz zu verringern. So könnte ein Unternehmen, das 2020 noch 100.000 Tonnen CO2e ausgestoßen hat, das Ziel haben, die Scope 1 und Scope 2 Emissionen bis 2030 um 42% zu reduzieren. Dies bedeutet, dass die eigenen Emissionen um 4,200 Tonnen pro Jahr gesenkt werden müssten. Der resultierende Klimapfad ist linear und betrachtet nicht, wie gut oder schlecht das Unternehmen im Branchenvergleich bereits dasteht.
Dazu braucht es den sektorspezifische Konvergenzansatz. Der fokussiert sich nicht auf die Reduktion der Gesamtemissionen um einen bestimmten Prozentsatz, sondern darauf, die Emissionsintensität innerhalb eines bestimmten Sektors auf einen bestimmten Wert zu senken. Soll bedeuten, hier wird die Menge an Treibhausgasemissionen in Bezug zu einem Schlüsselindikator gestellt.
Ein Beispiel: Die neuste sektorspezifische Methodik trifft den Gebäudesektor. Und hier ist Emissionsintensität in kgCO2e je Quadratmeter Gebäudefläche ausgedrückt. Das heißt, je nach Gebäudeart müssen alle Unternehmen unabhängig der Ausgangssituation, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die gleiche Emissionsintensität erreichen.
Also egal ob man in 2020 mit einer Intensität von 100 kgCO2/m2 oder 30 kgCO2/m2 startet, bis zum Zieljahr müsste man in beiden Fällen den gleichen Wert, sagen wir mal 5 kg, erreichen.
Hat ein Unternehmen also bereits viel getan und seine Emissionsintensität liegt weit unter dem Durschnitt, so muss es weniger Reduktion verwirklichen.
Der sektorale Ansatz berücksichtigt also die spezifischen Gegebenheiten und Herausforderungen einzelner Sektoren und setzt branchenspezifische Reduktionsziele. Das individuelle Unternehmen wird zudem in den Vergleich zum Branchendurchschnitt gesetzt. Das Ziel fällt ambitionierter aus, wenn das Unternehmen mehr Emissionen als der Durchschnitt verursacht.
Beide Ansätze haben gemeinsam, dass sie Unternehmen dazu anhalten, ihre Klimaziele auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und den globalen Erfordernissen zur Eindämmung des Klimawandels zu basieren.
Doch die sektorspezifischen Ziele beruhen auf spezifischeren Information, komplexeren Szenarien und können vorangegangene Maßnahmen besser berücksichtigen.
Also sollte sich jedes Unternehmen sektorspezifische Ziele setzten, richtig? Ja, das stimmt. Einfache Antwort. Allerdings gibt es noch nicht für jeden Sektor spezifische Zielpfade. Die flächendeckend zu entwickeln, daran arbeitet maßgeblich die Science Based Target Initiative
Die Initiative ist zu einer Art Leuchtturm in der Landschaft der Klimaziele geworden. Nicht jedes Science Based Target muss auf den Vorgaben der SBTi beruhen, doch die Standards und Vorgaben der Initiative bilden den Status Quo.
Wer ist die Sbti? Die Initiative wurde im Gleichschritt mit dem Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 ins Leben gerufen und ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Organisationen, die in Sachen Klimaschutz führend sind – das CDP, das World Resources Institute, welches auch das Greenhouse Gas Protocol herausbringt, und der World Wildlife Fund, besser bekannt als WWF.
Die Methoden und Tools, sind vollkommen frei zugänglich, um so eine breite Nutzung zu fördern.
Und die Zahlen sprechen für sich: Bis März 2024 haben bereits 7755 Unternehmen ein offizielles, validiertes Science Based Target bei der SBTi eingereicht. Neben diesen gibt es unzählige weitere Unternehmen, die zwar die Methodik der SBTi anwenden, sich jedoch gegen eine offizielle Validierung entschieden haben.
Jedes Unternehmen, das sich ernsthaft mit SBTs auseinandersetzen will, startet mit der Treibhausgasbilanz eines aktuellen Jahres nach der Methodik des Greenhouse Gas Protokolls. Die Bilanz muss sämtliche Emissionen erfassen, angefangen bei den direkten Emissionen aus internen Prozessen und Anlagen, also Scope 1, über die indirekten Emissionen aus bezogener Energie, also Scope 2, bis hin zu allen relevanten vorgelagerten und nachgelagerten Emissionsquellen – zusammengefasst in Scope 3. Diese dritte Kategorie wird vom GHG-Protocol in 15 Untergruppen eingeteilt, und es ist unabdingbar, hier einen umfassenden Überblick zu schaffen. Nur mit einer vollständigen Treibhausgasbilanz lässt sich ein SBT definieren.
Ist die Bilanz erstellt muss geschaut werden, ob für die eigene Branche ein sektorspezifischer Standard existiert oder ob der branchenübergreifende Ansatz angewendet werden kann. Wir konzentrieren uns für heute auf letzteren.
Leider wird’s noch etwas komplex. Denn bisher habe ich verschwiegen, dass bei der Zielsetzung zwischen zwei Zeitspannen unterschieden wird. Zum einen gibt ein near-term Ziel, bei dem die Zielperiode 5 – 10 Jahr beträgt. Ist das Basisjahr also 2020 kann das Zieljahr zwischen 2025 und 2030 liegen. Wir empfehlen dabei in der Regel das Jahr 2030 als Zieljahr, auch um die Anforderungen der Corporate Sustainability Reporting Directive, der CSRD, zu erfüllen – aber das nur am Rande.
Dann gibt es noch das long-term Ziel, welches als Net-Zero traget bezeichnet wird. Wer sich optional auch dieses Netto-Null Ziel setzt, verpflichtet sich bis 2050 mehr als 90% der Emissionen in allen Scopes zu reduzieren und die Restemissionen durch Carbon Storage and Removal Technologien aus der Atmosphäre zu entnehmen. (Wen das interessiert, dem empfehle ich unsere Episode zum Thema „Negative Emissionen und Landnutzung“ mit Professor Dr. Julia Pongratz)
Aber zurück zu den Near-term Zielen, welches im Fokus steht:
Hier gilt: Für Scope 1 und 2 müssen Ziele definiert werden, die mindestens 95% der Emissionen des Basisjahres abdecken. Unternehmen, die in Scope 3 mehr als 40% ihrer Gesamtemissionen vorfinden – und das sind die meisten –, sind aufgerufen, auch hier Ziele zu setzen die mindestens 67% der Emissionen einschließen. Während in den Scopes 1 und 2 ambitionierte Reduktionen erforderlich sind, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, kann im Scope 3, angesichts der begrenzten Einflussmöglichkeiten des Unternehmens, ein weniger strenges Ziel ausreichen, das dazu beiträgt, die Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. (Vorrausgesetzt das Unternehmen ist nicht CSRD pflichtig, denn dann braucht es auch in Scope 3 ein Ziel der ambitionierten Sorte... aber das nur am Rande)
Am Ende des Tages werden die Ziele konkret formuliert. In Scope 1 könnte es beispielsweise heißen: „Unternehmen X verpflichtet sich dazu, die Emissionen vom Basisjahr 2020 bis zum Zieljahr 2030 um mindestens 42% zu reduzieren.“ Für Scope 2 kann dasselbe Ziel gelten, wobei hier alternativ auch formuliert werden kann, komplett auf erneuerbare Energien umzusteigen.
Und in Scope 3? Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten, von den absoluten Zielen wie wir sie gerade für Scope 1 definiert haben, bis hin zu sogenannten Engagement-Zielen, die auf eine Verpflichtung der Lieferkette abzielen. Aber egal, wie das Ziel formuliert wird, in Scope 3 muss die Reduktion, für den Zeitraum 2020 bis 2030, mindestens 25 % entsprechen.
Mit der Formulierung der Ziele haben unsere wissenschaftsbasierten Ziele festgelegt – und was nun? Denkt bloß nicht, dass damit schon alles erledigt ist. Nein, jetzt fängt die eigentliche Arbeit erst an. Zum Schluss will ich daher auch die nächsten Schritte eingehen.
Zuerst wäre da die Validierung der Ziele durch die SBTi. Dabei hält es wie mit dem Michelin Stern am Gastronomiehimmel: Man braucht ihn nicht unbedingt, um großartiges Essen zu kochen, aber er glänzt doch so schön im Licht der Anerkennung. Was ich damit sagen möchte, die kostenpflichtige Validierung ist kein muss, auch nicht im Rahmen der CSRD, aber sie bringt Glaubwürdigkeit und verssicher die korrekte Anwendung der Methodik.
Unabdinglich ist hingegen die Erarbeitung einer Klimastrategie. Die beinhaltet konkrete Schritte, wie wir unsere Emissionen senken. Vielleicht durch Investitionen in saubere Energie, vielleicht durch cleverere Produktionsprozesse oder Umsetzung der Kreislaufwirtschaft – ohne handfeste Maßnahmen bleiben die Ziele bloße Wunschvorstellungen.
Um dann den Fortschritt zu überwachen, ist es genau so unabdingbar, die Treibhausgasbilanz jährlich zu erneuern. Das hilft nicht nur dabei, die Zielerreichung zu bewerten, sondern auch zu verstehen, wo Anpassungen nötig sind und welche Maßnahmen besonders effektiv waren. Diese regelmäßige Überprüfung ist das Rückgrat einer jeden Klimastrategie, denn sie liefert die Datenbasis für informierte Entscheidungen.
Und als wäre das nicht schon genug, kommt alle fünf Jahre der große Check-up: die Überprüfung unserer Ziele. Eine Chance, die Ziele zu schärfen, anzupassen und sicherzustellen, dass sie immer noch im Einklang mit der Wissenschaft und den globalen Anforderungen stehen. Dabei kann es auch nötig werden, völlig neue Ziele zu definieren, zum Beispiel, wenn es zu grundlegenden Änderungen im Unternehmen gekommen ist, etwa durch Fusionen, Akquisitionen oder Veräußerungen, oder wenn in der Zwischenzeit ein sektorspezifischer Standard veröffentlicht wurde.
Also, Klimapfade sind ein kontinuierlicher Prozess, der Engagement und einen langen Atem verlangt, aber letztlich zu einem nachhaltigeren und resilienteren Geschäftsmodell führt. Das wissenschaftsbasierte Klimaziel ist dabei nicht weniger als der eigene Beitrag zur Rettung unseres Planeten.
Links zu allen Quellen und weiterführenden Informationen finden sich wie immer unten in den Schownotes. Für Fragen und Anmerkungen kann man sich gerne bei mir melden, unter steven.reich@zukunftswerk.org. Ich höre gerne von euch. Danke für’s zuhören uns bis zum nächsten Mal. Tschüss.